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»Infinity Pool«: Die Reichen sind der Alptraum

Wenn den Zuschauenden nichts erspart wird, amüsiert sich die Bourgeoisie: »Infinity Pool«

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.
Von den guten wie bösen Geistern verlassen - und ihre Gefühle haben diese Figuren auch verloren
Von den guten wie bösen Geistern verlassen - und ihre Gefühle haben diese Figuren auch verloren

Nach dem abgeebbten Zombieboom zeichnet sich – zumindest im erweiterten Arthouse-Bereich – ein neuer Trend ab: Die Darstellung der weltweiten spätkapitalistischen High Society als amoralische, unmenschliche und gewalttätige Clique, deren Mitglieder alles tun, um aus ihrem gefühls- und bedeutungsleeren bürgerlichen Alltag zu entfliehen.

Dass eine Minderheit dabei ist, die Lebensgrundlagen der Mehrheit nachhaltig zu verwüsten (bekanntlich ist das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung für rund 15 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich) und dass diese jeder Verantwortung und Moral entrückte Millionärs-Welt Quell immer neuer abstoßender Skandale ist (Jacques Bouthier in Frankreich, Julian Reichelt in Deutschland, Jeffrey Epstein in den USA), reizt offenbar insbesondere die Filmkunst zu intensiver Auseinandersetzung mit den Reichen. Nach »The Menu«, »Triangle Of Sadness«, »Seneca« ist mit »Infinity Pool«, benannt nach den randlosen Pools, die sich scheinbar bruchlos in die Landschaft um sie herum einfügen, hat sich nun auch Brandon Cronenberg, der Sohn von Regisseur David Cronenberg, des Themas angenommen.

So brillant er das insgesamt inszeniert, so simpel ist der Plot: Der mehr oder minder erfolglose, schreibblockierte Schriftsteller James Foster (Alexander Skarsgård) reist mit seiner Ehefrau Em (Cleopatra Coleman) in ein Luxus-Resort im fiktiven Sonnenstaat La Tolqa. Die Gäste dürfen das Resort nicht verlassen. Durch den Ortswechsel lassen sich die Konflikte in der Beziehung zwischen James und Em nicht beheben, im Gegenteil. Bei einer Abendgesellschaft verkündet Em, sie fühle sich angesichts der Erfolgslosigkeit ihres Gatten wie eine »Wohltätigkeitsorganisation«. Sie demütigt ihren Mann mit unverhohlener Freude und offenbar routinemäßig.

Wie auch in »Triangle Of Sadness« spielt hier verletzte bzw. verletzliche Männlichkeit eine Rolle. Überhaupt ruft Cronenberg in seinem Film verschiedene politische Diskurse auf, oft stark verfremdet und satirisch auf den Kopf gestellt und ohne letztgültige Antworten geben zu wollen. Vieles bleibt Fragment, Gewissheiten verschwimmen in Cronenbergs verschwommenen Bildern wie der letzte Halt im Leben seines Protagonisten.

Diese Bildsprache kippt in den extremsten Momenten ins Pornografische bzw. in puren Splatter, den Zuschauenden soll nichts erspart bleiben, der Film hat hierzulande keine Jugendfreigabe. Dazu kommt das Zombiemotiv: Denn ob die stinkreichen Protagonisten überhaupt noch sie selbst sind oder untote Klone, wissen weder sie noch die Zuschauenden – eine der vielen bösen metaphorischen Spitzen des Films.

Bald werden die Figuren aber unsanft aus dem Urlaubsmodus gerissen: Bei einer verbotenen nächtlichen Spritztour zu einem Strand außerhalb des Resorts überfährt James einen Einheimischen. Ein Verbrechen, auf das in La Tolqa die Todesstrafe steht. Allerdings hat man in dem Land, das offenbar praktisch ausschließlich vom Tourismus lebt, mit den reichen Delinquenten ein Agreement getroffen: Es werden bei begangenen Kapitalverbrechen dieser Art, gegen Bezahlung versteht sich, Klone von den Tätern angefertigt, die dann an ihrer statt hingerichtet werden, allerdings müssen sie diesem Ritual persönlich beiwohnen.

Ein weitere kluger Move des Films besteht darin, dass er zwar den Horror über die Reichen hereinbrechen, daraus aber keine Bedrohungslage für die Figuren entstehen lässt. Der Film geht uns nicht an, indem er uns gruselt, erschreckt oder entsetzt mitfiebern lässt. Dafür bräuchte es Figuren, an die ein Affekt gebunden ist und die ihrerseits in Angst und Schrecken versetzt werden. Das ist aber nicht der Fall. Angst und Schrecken gibt es zwar, aber die neue High Society, die wir hier präsentiert bekommen, kann sich nicht nur aus dem gröbsten Schlamassel einfach herauskaufen, sondern ist von dem Grauen um sie herum eher amüsiert als schockiert.

Mit Em reist die einzige moralisch einigermaßen integre Figur aus La Tolqa ab, nachdem sie das brutale Messergemetzel, das an James› Klon vollzogen wird, mitansehen musste. So evoziert »Infinity Pool« zwar durchaus Entsetzen, nur sind wir hier nicht darüber entsetzt, was den Figuren angetan wird, sondern vielmehr über die Figuren selbst.

James bleibt, unter dem Vorwand, seinen Pass verloren zu haben, hauptsächlich aber weil er inzwischen eine Affäre mit der vor Ort kennengelernten Schauspielerin Gabi (grandios gespielt von Mia Goth) führt, ohne Em in La Tolqa zurück. Es stellt sich heraus, dass diese enthemmte Bourgeoisie nicht nur menschliche Klone in Serie brutal niedermetzelt ohne mit der Wimper zu zucken, sondern auch den »eingeheirateten« Nichtsnutz James (und dessen Klone) nur zum barbarischen Vergnügen in die Gruppe aufnimmt, gewissermaßen als lebendiges Spielzeug.

Am Ende ist er von allen guten und bösen Geistern verlassen und sitzt einsam am verlassenen Strand, als letzter Gast des Luxus-Resorts mitten im Monsun auf einer Sonnenliege. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind in alle Richtungen zementiert. Der sich entfaltende Alptraum ist letztlich einer für alle Beteiligten. Auch wenn »Infinity Pool« viel mehr nicht zu sagen hat, dürfte er damit erschreckend nah an der Wahrheit liegen.

»Infinity Pool«. Kanada 2023. Regie und Buch: Brandon Cronenberg. Mit Alexander Skarsgård, Mia Roth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert. 117 Min., bereits angelaufen

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